Missverständnisse gehören zum Arbeitsalltag und trotzdem fühlen sie sich oft persönlicher an, als sie sind. Dieser Artikel zeigt, warum wir manchmal aneinander vorbeireden, ohne es zu merken und wie ein systemisches Modell dabei helfen kann, Klarheit zu gewinnen.
Inhaltsverzeichnis
Missverständnisse entstehen oft auf unterschiedlichen Realitätsebenen
Wir alle kennen sie: die kleinen Irritationen im Alltag, in Teams oder Beziehungen, bei denen man sich fragt “Warum hat mein Gegenüber das jetzt so verstanden?” oder “Wie kann es sein, dass wir über dasselbe reden und trotzdem komplett andere Vorstellungen haben?” Solche Situationen sind nicht nur lästig, sondern können Vertrauen untergraben, wenn sie sich häufen.
Die Ursache liegt oft nicht im fehlenden Willen zur Zusammenarbeit, sondern in einem Missverständnis auf der Ebene der Realität. Das klingt abstrakt? Ist es aber nicht. Ein Modell aus meiner Ausbildung im systemischen Teamcoaching (ORSC – Organization and Relationship Systems Coaching) bringt hier Klarheit: die drei Realitätsebenen.
Die drei Realitätsebenen: Warum Kommunikation manchmal scheitert
Das Modell hilft zu verstehen, warum Gespräche ins Stocken geraten, obwohl alle Beteiligten eigentlich das Gleiche wollen. Jede Ebene beschreibt eine bestimmte Dimension von Realität und wir bewegen uns ständig zwischen ihnen.
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Konsens-Ebene
Dies ist die konkrete, sichtbare und messbare Welt. Alles, was wir beobachten, zählen oder in Fakten ausdrücken können, gehört hierher: Personen, Ereignisse, Daten, Strukturen, Regeln. Auf dieser Ebene organisieren sich Teams, Projekte und Prozesse.
Viele Menschen bevorzugen diese Ebene, weil sie Klarheit, Orientierung und Sicherheit vermittelt. Wer ein starkes Bedürfnis nach Struktur, Kontrolle oder Verlässlichkeit hat, fühlt sich hier besonders wohl.
Beispiele:
- „Die Deadline ist nächsten Freitag.“
- „Wir haben vier Workshops durchgeführt.“
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Traumebene
Hier geht es um Gefühle, Erwartungen, Atmosphäre und unausgesprochene Rollen. Auch das, was zwischen den Zeilen mitschwingt z. B. Unsicherheiten, Interpretationen oder stille Bedürfnisse gehört zu dieser Ebene.
Personen mit einem hohen Bedürfnis nach Beziehung, Resonanz oder emotionaler Klarheit bewegen sich gern auf dieser Ebene. Sie achten stärker auf nonverbale Signale, Stimmung und das „Wie“ in der Kommunikation.
Beispiele:
- „Ich hatte das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.“
- „Die Stimmung war angespannt.“
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Essenz-Ebene
Diese Ebene ist intuitiv, tief und oft schwer in Worte zu fassen. Sie umfasst gemeinsame Erfahrungen, innere Verbundenheit, Inspiration, aber auch universelle Themen wie Zugehörigkeit, Sinn oder „Chemie“ zwischen Menschen.
Menschen, die stark mit inneren Werten, Sinnfragen oder spiritueller Tiefe verbunden sind, halten sich gern auf dieser Ebene auf. Auch wer sehr intuitiv oder ganzheitlich denkt, findet hier Orientierung.
Beispiele:
- „Trotz aller Unterschiede hatten wir einen echten Moment des Verständnisses.“
- „Irgendetwas hat sich stimmig angefühlt.“
Was Missverständnisse so hartnäckig macht
Ein Missverständnis entsteht nicht nur, wenn etwas falsch verstanden wird, sondern oft, weil wir gar nicht bemerken, dass wir uns auf unterschiedlichen Realitätsebenen bewegen. Wir sprechen zwar über dasselbe Thema, beziehen uns dabei aber auf völlig verschiedene Aspekte: Die eine Person bleibt bei Fakten und konkreten Lösungen, die andere spricht über Gefühle oder unausgesprochene Bedürfnisse. So entsteht schnell das Gefühl, aneinander vorbeizureden, obwohl beide ein echtes Gespräch führen wollen.
Besonders herausfordernd wird es, wenn Emotionen im Spiel sind, z. B. in Konflikten, bei hoher Anspannung oder in anspruchsvollen Führungssituationen. Dann hören wir oft nicht mehr neutral zu, sondern durch den Filter unserer eigenen Erfahrungen und inneren Bewertungen. So entstehen nicht nur Missverständnisse, sondern auch echtes Unverständnis: das Gefühl, nicht gehört oder nicht gesehen zu werden.
Emotionale Intelligenz hilft, Missverständnisse zu entschlüsseln
Hier kommt emotionale Intelligenz ins Spiel, insbesondere durch Selbstwahrnehmung, Empathie und Beziehungsmanagement. Wer lernt, eigene Reaktionen frühzeitig zu erkennen, kann bewusst steuern, auf welcher Ebene er / sie gerade kommuniziert und auf welcher Ebene das Gegenüber unterwegs ist.
Ein Beispiel:
Jemand sagt: „Ich finde es schade, dass du mir das nicht vorher gesagt hast.“
- Konsens-Ebene: Es wurde eine Information zu spät geteilt.
- Traumebene: „Ich fühle mich übergangen.“
- Essenz-Ebene: „Ich wünsche mir Vertrauen und Respekt.“
Statt vorschnell zu rechtfertigen, kann ein Satz wie „Ich höre, dass es dir wichtig gewesen wäre, früher eingebunden zu sein“ die Situation oft entspannen und eine Brücke schlagen.
Was du im Umgang mit Missverständnissen tun kannst
- Innehalten: Nimm dir einen Moment Zeit, bevor du reagierst. Was wird gerade in dir ausgelöst?
- Ebenen benennen: Frag dich: Geht es hier um Fakten, Gefühle oder etwas Tieferes?
- Nachfragen statt interpretieren: Frag zum Beispiel: „Wie hast du das gemeint?“ oder „Was ist dir gerade wichtig?“
- Bewusst die Ebene wechseln: Statt in der Sachebene festzustecken, kann es helfen, die Beziehungsebene zu betonen: „Mir ist wichtig, dass wir gut zusammenarbeiten.“
- Selbstwahrnehmung schulen: Je besser du deine Reaktionsmuster kennst, desto leichter erkennst du Dynamiken und kannst Missverständnisse früh auflösen.
Fazit: Die Kunst, wieder zueinander zu finden
Missverständnisse sind menschlich. Doch wenn wir verstehen, woher sie kommen, verlieren sie ihren Schrecken und können sogar zum Ausgangspunkt echter Verständigung werden.
Das Modell der drei Realitätsebenen bietet einen Kompass für komplexe Gespräche. Es hilft uns, klarer zu kommunizieren, achtsamer zuzuhören und empathischer zu reagieren. Und mit emotionaler Intelligenz als Begleiterin gelingt es, selbst in schwierigen Momenten verbunden zu bleiben.
Denn gute Kommunikation ist mehr als ein Austausch von Informationen: sie ist ein Ausdruck von Beziehung, Respekt und gegenseitigem Verstehen.
Gemeinsam weiterdenken
Vielleicht hat dich der Text angeregt, deine eigene Kommunikation bewusster zu beobachten oder du erkennst Situationen, in denen Missverständnisse häufiger vorkommen. Wenn du diese Dynamiken weiter erkunden oder im beruflichen Kontext vertiefen möchtest, begleite ich dich gerne im Einzelcoaching oder im Teamsetting.
Quellen
ORSC-Kursunterlagen
Über Sybille Imbach, Organisationspsychologin
Sybille Imbach unterstützt Führungskräfte und Teams mit grosser Hingabe dabei, ihre emotionale Intelligenz und Resilienz zu stärken. Mit langjähriger Erfahrung als Organisationspsychologin spezialisiert sie sich auf nachhaltige Strategien im Stressmanagement und in der Teamentwicklung, um persönliches Wohlbefinden, wirksames Führen und konstruktive Teamarbeit zu fördern. Ihre Expertise kombiniert Psychologie und Coaching auf einzigartige Weise, um gesunde und produktive Arbeitsumgebungen zu schaffen.
Wenn klassische Tools oder Selbsthilfebücher nicht mehr weiterhelfen, setzt Sybille Imbach dort an, wo echte Veränderung beginnt: mit innerer Klärung, emotionaler Tiefe und nachhaltiger Selbstführung.



